Passung von Menschen und Rahmen

Ein Thema, was mir gerade immer wieder begegnet ist die Passung von Mensch und Rahmen. Wir sind als Menschen und soziale Wesen ständig von Rahmenbedingungen umgeben, die uns in unserer Bewegungsfreiheit einschränken und bestimmte Bewegungen und Fähigkeiten von uns fordern. In der physischen Welt ist das sehr eindrücklich: Wenn ich am oberen Ende der Treppe stehen möchte, muss ich die Treppe hinauf gehen, kriechen oder kugeln. Die Treppe ändert sich nicht, oben ist nicht plötzlich unten, unter nicht plötzlich oben. Du musst die Treppe nicht raufgehen, du kannst einfach unten bleiben. Aber wenn du zu einem bestimmten Ergebnis kommen willst, musst du dich verändern, bewegen, etwas tun. Nicht die Treppe. Die Treppe ist die Treppe. Der Flugzeugsitz ist der Flugzeugsitzt. Wenn du hineinpassen willst, musst du was dafür tun. Der Flugzeugsitz ändert sich nicht. Der Flugzeugsitz kennt seine Grenzen und weiß, wer hineinpasst, wer sie strapaziert und wer definitiv nicht hineinpasst.

Soziale Systeme haben es da schwerer, dabei ist die Frage der Passung hochrelevant. Egal, wo ich hinschaue, überall sehe ich das Thema – wie das eben ist, wenn man sich gerade mit einem Thema beschäftigt: Man sieht es überall. Ich sehe auf der einen Seite die, die sich beschweren, dass die Rahmenbedingungen nicht so sind, wie sie es sich für die optimale Bedürfnisbefriedigung wünschen würden und die darüber klagen, dass die Welt nicht so ist, wie sie sein sollte.

Auf der anderen Seite sehe ich die, die den Rahmen darstellen und die sich schwertun, klare Grenzen zu setzen: Passt der Mitarbeiter in die Firma? Passt das Kind in die Einrichtung? Darf man sich hier so verhalten? Was müssten wir als Rahmen noch tun und verändern, damit wir passend werden? Dürfen wir das überhaupt, für jemanden nicht der passende Rahmen zu sein?

Was ich oft erlebe, sind Menschen, die vielleicht ihre eigenen Grenzen kennen, aber nicht die des Rahmens, den sie vertreten. Ich erinnere mich noch an die Zeit, in der meine Fragen in Supervisionen bei der Besprechung schwieriger Fälle immer als erstes darauf abzielten, wie sich die Mitarbeiter und damit der Rahmen (auch wenn ich das glaube ich selten so benannt habe) verändern müssten, damit der Störenfried aufhören würde zu störenfrieden und sich von einer anderen Seite zeigen würde. Die Fragen zielten tendenziell darauf ab, was der Störenfried vom Rahmen und den Mitarbeitern fordert und was diese tun könnten, um dem entgegenzukommen. Mittlerweile ist das nicht mehr meine erste Frage, sondern die zweite.

Meine erste Frage lautet gerade: Was fordert der Rahmen von denen, die sich darin bewegen wollen? Was sind die Zugangs- und Bleibevoraussetzungen für einen bestimmten Rahmen. Wenn es um meine Wohnung geht, sage ich, die Zugangsvoraussetzung ist, dass ich dich kenne, mag und dass du die Schuhe beim reinkommen ausziehst. Die Bleibevoraussetzung ist, dass du nett oder zumindest unkompliziert bist und nicht rumstänkerst. Das brauchen ich und meine Wohnung als Rahmen von dir, sonst können wir dich nicht als Besuch haben. Wenn du diese Voraussetzungen erfüllst, kommen wir dir gerne in deinen Bedürfnissen entgegen: Willst du Kaffee oder Tee, Wasser oder Saft (außer, es ist gerade keiner da), willst du Musik an oder aus? Das liegt alles im Verhandlungsrahmen und in den Möglichkeiten meines Rahmens.

Ein bisschen ist es auch mit unseren Zimmerpflanzen hier. Der Rahmen ist unsere Wohnung, mit ihren hellen und dunklen Ecken, der Luftfeuchtigkeit und dem Luftzug bei offenen Fenstern. Manche Pflanzen mögen das, andere nicht. Wenn eine Pflanze ihren Platz nicht mag, stelle ich sie ein oder zweimal um, wenn sie dann trotzdem beschließt zu sterben, stirbt sie eben. So ist das halt. Nicht für jede Pflanze passt der Rahmen hier. Mein Mitbewohner sieht das anders. Wenn es einer Pflanze nicht gut geht, wenn die Rahmenbedingungen nicht passen, dann wird die Pflanze nicht ihrem grausigen Schicksal überlassen, nein! Es werden Pflanzenlampen besorgt, die an einzelne Pflanzen geklipst werden können, auf dass sie optimale Rahmenbedingungen erfahren. Die Stromrechnung steigt, die Pflanze überlebt.

Was fordert der Rahmen? Welche Voraussetzungen muss jemand erfüllen, um dem Rahmen gerecht zu werden? Wo ziehen wir den Schlussstrich und müssen sagen: „Nein, das passt hier nicht mehr. Da ist die Grenze, das entspricht nicht mehr unseren Zielen, unseren Werten, unseren Möglichkeiten.“ Wir kommen dabei schnell zur Frage von Identität: Wer sind wir? Können wir die sein, die wir sein wollen?

Wären wir nicht alle manchmal gerne Superhelden? Die Möglichmacher, die für jeden einen Platz schaffen, die es schaffen, alles und jeden zu integrieren? Gerade, wenn wir den Eindruck haben, dass die andere Person gar nichts dafür kann, dass sie sich disqualifiziert?

Vielleicht fühlt es sich deshalb manchmal im ersten Moment so unangenehm an, die Grenzen des Rahmens klarzumachen, weil wir damit Kriterien festlegen, nach denen wir uns gegen jemanden, gegen etwas entscheiden. Das macht es nicht weniger wichtig, im Gegenteil. Es macht nur deutlich, warum manchmal jemand von außen zu einem Team oder einer einzelnen Person dazukommen muss und die auf den ersten Blick herzlose Frage stellen muss: „Erfüllt die Person die Bedingungen und Voraussetzungen, die der Rahmen fordert?“

Denn die Antwort „Nein“ hat Konsequenzen. In helfenden Berufen bedeutet sie, dass wir nicht helfen können oder dass andere darunter leiden würden, wenn wir darauf bestünden, den Rahmen nach den Bedürfnissen einer Person auszurichten – was allzuoft hieße, dass der Rahmen für die, für die er vorher gepasst hat, nicht mehr passt.

Gleichzeitig muss sich ein Rahmen doch anpassen und Verändern können, muss sich entwickeln entlang der Bedarfe derer, die auf ihn angewiesen sind – oder?

Wer muss sich wem anpassen? Der Rahmen sich denen, denen er dient oder die, für die der Rahmen gedacht ist, dem Rahmen? Wer kann was leisten und wo stellen wir fest, dass es zusammen nicht geht und wir uns deshalb trennen müssen?

Das sind Fragen, um deren Antwort man immer wieder ringen darf, die nie fertig beantwortet sind und die immer wieder neu aufkommen. So bleibt am Ende wohl nur, immer wieder zu prüfen, wozu man gerade tendiert und den anderen Pol wieder mit in die Betrachtungen und Überlegungen zu holen. Fertig.

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