Selbstliebe und Glück

Eine Dame erzählte mir heute, sie habe im Urlaub, wie man das manchmal so tut, einer anderen über die Schulter gelinst, die ein Buch, irgend so ein Selbsthilfebuch gelesen habe. In der kleinen Passage, die sie habe erspicken können, habe gestanden, dass es wichtig sei, sich selbst zu lieben, weil man dann nicht mehr darauf angewiesen sei, den Traumprinzen zu finden, der das mit dem lieben übernimmt, sodass man auch einfach so glücklich sein könne. Sie wolle sich selbst lieben, um glücklich zu sein, aber so richtig gelänge ihr das noch nicht.
Selbstliebe soll glücklich machen. Eine durchaus interessante Idee. Leider jedoch völlig verquer und dadurch gefährlich. Denken wir die Aussage einfach mal durch. Wenn Selbstliebe glücklich macht, dann wäre ich glücklich, wenn ich mich selbst liebe. Wenn ich nicht glücklich bin, bedeutet das also, dass ich mich selbst nicht genug liebe und dass ich selbst an meinem Nicht-Glück schuld bin. Na toll, was für ein Trottel bin ich denn bitte, dass ich mich nicht genug liebe, um glücklich zu sein.
Ich arbeite als Psychotherapeutin. Gerade noch in Ausbildung, das sage ich an dieser Stelle gerne dazu, damit man mir meine Unwissenheit noch nachsehen kann. Wenn ich psychotherapeutisch arbeite, spielen Selbstliebe und Selbstakzeptanz oft eine große Rolle, gepackt in unterschiedlichste Wortgewänder, je nachdem mit wem ich arbeite. Trotzdem glaube ich nicht, dass Selbstliebe und Selbstakzeptanz glücklich machen. Darum geht es in meinen Augen auch gar nicht. Weder im Leben noch in der Psychotherapie. Worum es im Leben geht, vermag ich nicht zu beantworten. Man hat nun mal Zeit und wie an einem Sonntagnachmittag ohne Pläne stellt sich dich Frage, was man mit dieser Zeit macht, die nun mal da ist, unabhängig davon, ob die Läden geschlossen sind oder nicht. Worum es im Leben geht, ist ähnlich, dauert nur länger. In der Psychotherapie geht es – grob gesagt – darum, dass die Leute die Zeit, die sie zum Leben haben, gerne ein wenig anders nutzen würden, als sie es gerade tun, wobei sie sich selbst als wesentlichen Störfaktor wahrnehmen: “Wenn ich nur nicht so und so wäre, ginge es mir besser / könnte ich dies oder jenes / würde ich blablabla.”
Im Idealfall haben Patienten in der Psychotherapie nicht nur ein Problem, das sie bewältigen, Gedanken, Gefühle und Verhalten, das sie ändern wollen, sondern zusätzlich ein sogenanntes Problem zweiter Ordnung: Ein Problem damit, dass sie ein Problem haben. “Wie doof bin ich denn, dass ich so und so fühle, denke, handle!” Dieses Problem zweiter Ordnung in Form von Selbstzweifeln, Selbstabwertungen, Selbsthass wird mit der Zeit zum viel schwerwiegenderen Problem und zieht so viel Aufmerksamkeit und Energie, dass man nicht mehr an dem arbeiten kann, worum es eigentlich geht. Das gilt nicht nur in der Psychotherapie. Wenn ein Mensch sich verbietet zu trauern, weil er stark sein muss und sich das nicht so zu Herzen nehmen sollte und sich über sich selbst ärgert, weil da immer noch Trauer ist, obwohl doch schon drei Tage nach dem schlimmen Verlust vorbei sind, bremst der Selbstärger die Trauer aus, führt vielleicht auch noch zu Scham und statt die Trauer ihren Job machen zu lassen, ärgert man sich über sich.
Selbstliebe macht nicht glücklich. Sich selbst in Ordnung zu finden, sich liebe- und verständnisvoll zu begleiten, sich Pausen zuzugestehen, Fehler anzuerkennen ohne sich dafür zu ächten, Gefühle und Gedanken zu haben, ohne diese direkt für eine Fehlleistung der eigenen Psyche zu halten, sondern als Hinweise auf die eigene innere Befindlichkeit und die eigene Bedürfnislage zu verstehen. Das macht nicht glücklich. Aber es nimmt Stress aus ohnehin schon schwierigen Situationen, die durch Selbstvorwürfe entstehen. Und das ist ein Ziel, nach dem es sich aus meiner Sicht allemal zu streben lohnt.

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