Wenn man nach Niedergeschlagenheit googelt, kommt kann schnell zu dem Schluss, dass man – ist man niedergeschlagen – schleunigst etwas dagegen tun sollte. So ein Quatsch. Wenn man Leuten erzählt, dass man durchhängt, keine Energie hat, kaputt, müde und motivationslos ist, werden einem entweder schlaue Ratschläge wie mehr Sport, Vitamin D, gesündere Ernährung oder mehr Achtsamkeitsübungen um die Ohren gehauen oder man wird doch zumindest gefragt, was man dagegen zu tun gedenkt. So ein Quatsch!
Die meisten Menschen würden wohl von sich sagen, dass sie sich selbst lieber mögen, als ihr Auto. Zumindest meistens und wenn sie überhaupt ein Auto haben. Doch wenn es um das Thema Antrieb geht, scheinen die meisten Menschen besser auf den ihres Autos einzugehen als auf den eigenen. Beim Auto behält man den Treibstoffstand gut im Auge, hat eine Idee davon, wie weit man noch damit kommt, fährt vielleicht langsamer als es möglich wäre, weil das Energie spart. Und spätestens wenn die Tankleuchte aufleuchtet, fährt man auf kurzem Weg zur nächsten Tankstelle im vollen Bewusstsein, dass das nun mal nötig ist, wenn man nicht in der nächsten Zeit einfach auf der Autobahn liegenbleiben möchte. Und wenn es doch einmal passiert, dass der Tank nicht wieder rechtzeitig gefüllt wurde und das Auto nicht mehr weiter fährt, wundern wir uns nicht, es ist ja ganz offensichtlich und logisch, dass ein Auto mit leerem Tank nicht mehr fahren kann. Darum rufen wir auch nicht bei der Werkstatt an, sondern kümmern uns darum, dass wieder Benzin nachgefüllt wird – im Vertrauen, dass die Karre schon wieder fährt, wenn nur der Tank wieder voll ist.
Nicht so, wenn es um den eigenen Energiehaushalt geht! Hier heißt es allzu oft: Vollgas! Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen, der frühe Vogel fängt den Wurm und Morgenstund’ hat Gold im Mund. Während wir bei unserem Auto ganz genau wissen, dass es unverhältnismäßig mehr Energie kostet, wenn man auf der Überholspur rast, statt sich mit 120 km/h zufriedenzugeben, nehmen wir bei uns selbst die Kosten für etwas mehr Geschwindigkeit billigend in Kauf. Wie unser Auto den Treibstoff verbrennen auch wir Energie – und das ist ja auch gut so, wenn man etwas erreichen will, das ist ja gar nicht der Punkt. Der Punkt ist: Was passiert, wenn die Tankleuchte der Seele anspringt? Also langsamer wird, weniger motiviert ist, keine Lust hat, einem alles egal und sinnlos vorkommt? Wenn man kein Interesse hat, selbst Dinge zu tun, die einem sonst Spaß machen, die einen in die Zukunft entwickeln und die man sich selbst noch vor einiger Zeit selbst ausgesucht und gewünscht hat? Dann sagt man sowas wie “Ich bin heute irgendwie so depressiv” – was für ein Schwachsinn! Das Zeitkriterium einer klinischen Depression ist mindestens zwei Wochen. Es gibt keine Eintagesdepression. Eine Depression ist eine Störung, ein Soft- oder Hardwareproblem, wenn man so will. Eine Depression bedeutet, dass man nicht mehr aus dem ersten Gang rauskommt, dass die Zündkerzen durchgeschmort sind oder sonst irgendetwas grundlegend gerade nicht so funktioniert, wie es soll (das Bild ist komplett falsch und an anderer Stelle würde ich es völlig anders formulieren, aber wenn wir in der Autometapher bleiben wollen, müssen wir das jetzt für einen Moment einfach so hinnehmen, zumal es sowieso nicht der Punkt ist, um den es eigentlich geht). Niedergeschlagenheit, Lustlosigkeit, Rückzugs- und Ruhebedürfnis sind allzu oft einfach nur die Tankleuchte der Psyche, die anzeigt: Wir müssen mal wieder auftanken. Und da sieht je nach Mensch der Treibstoff anders aus. Es gibt die Leute, die bei einer Zehnstundenwanderung durch Berg und Tal mit fünf Freunden richtig auftanken, die Energie gewinnen, wenn sie sich beim Sport auspowern oder meditieren. Ich persönlich gehöre nicht dazu und ich kenne auch persönlich niemanden, der das tatsächlich von sich selbst sagen könnte. Ich kenne Menschen, die zum Auftanken Dschungelcamp schauen – oder Herr der Ringe zum 700sten Mal. Die lange schlafen, sich Essen bestellen, statt selbst zu kochen, die sich vor Partnern und Familie flüchten, um in ihrem Zimmer stundenlang zu zocken, eine halbe Flasche Wein trinken, Schokolade essen, Fitti schwänzen, in der Sauna rumlümmeln oder auf der Couch versacken. Vielleicht ist das nur ein sehr kleiner, ausgewählter Teil der Menschheit, den ich da kenne, aber für diesen Teil ist Rumhängen, nichts tun und es dabei belassen der beste und großartigste Weg, Energie zu tanken.
Nein, natürlich sollte man das nicht nur tun. Es bringt einen ja auch nicht voran, wenn man an der Tankstelle steht und den Tank überlaufen lässt, wenn nichts mehr reinpasst und damit eine Riesensauerei verursacht. Und es gibt die Zeiten, da macht man nur kurze Zwischenstopps und tankt für 10€ in der Hoffnung, dass es für die nächste Etappe genügt. Sport machen, Freunde treffen, sich gesund ernähren, Ziele verfolgen, sozialen Verantwortungen nachgehen und was nicht noch alles, das ist gut, tut der Seele gut. Die große Frage ist nur, ob das Energietanken ist – oder Energie ausgegeben, während man denkt, dass man tanken würde. “Ich müsste doch energiegeladen sein, ich habe nur schöne Sachen gemacht”, ist eine Logik, die so einfach nicht stimmt. Auch schöne Sachen brauchen Energie. Auch sie sind wichtig, dass es laufen kann, so wie beim Auto das Öl, der Motor, die Lenkung und so weiter wichtig sind. Wenn die Hinterachse klemmt, kann der Tank noch so voll sein, das Ding fährt nicht. Wenn die Motorwarnleuchte blinkt, heißt es ab in die Werkstatt und nicht “Lass mal tanken fahren”. Und dann gibt es natürlich noch die Fälle, bei denen man viel Energie verliert, weil im Tank Selbstwert- oder andere -löcher sind, durch die man permanent ein wenig Treibstoff verliert und sich wundert, warum man mit einer Tankfüllung weniger weit kommt, als es andere tun. An der grundsätzlichen Überlegung ändert es trotzdem nichts: Bei Antriebsmangel beim Auto sollte man erst mal prüfen, wie es mit den Energiereserven steht und diese gegebenenfalls auffüllen. Beim Menschen ist es genau das Gleiche.